Wie funktioniert die schwedische Aktienrente (Bild: Jon Flobrant, Unsplash)
2,5 Prozent vom Bruttolohn fließen in Schweden automatisch in die Aktienrente – seit 25 Jahren.
Was Deutschland gerade diskutiert, ist dort längst Realität. Mit durchschnittlich 11 Prozent Rendite seit dem Jahr 2000 klingt das schwedische Modell wie ein Traum. Doch Betrugsskandale, automatische Rentenkürzungen und eine Durchschnittsrente von nur 1.324 Euro zeigen: Das System hat seine Schattenseiten. Wir analysieren, was wirklich hinter dem vermeintlichen Vorbild steckt.
Die Zahlen beeindrucken: 222 Milliarden Euro verwaltet die schwedische Aktienrente, der Staatsfonds AP7 erzielte 2024 satte 27,3 Prozent Rendite. Trotzdem müssen viele Schweden mit weniger Rente auskommen als Deutsche.
Wie funktioniert das schwedische Rentensystem?
Schweden revolutionierte 1998 sein Rentensystem komplett. Statt nur auf Umlage zu setzen, führte das Land ein Drei-Säulen-Modell ein. Die staatliche Rente teilt sich in zwei Teile: 16 Prozent des Bruttoeinkommens fließen ins Umlageverfahren, 2,5 Prozent zwingend in die kapitalgedeckte Prämienrente (Premiepension).
| Säule | Anteil | financing | Besonderheit |
|---|---|---|---|
| Staatliche Rente | 18,5% des Bruttos | 16% Umlage + 2,5% Kapitaldeckung | Verpflichtend für alle |
| Betriebsrente | 4,5-30% des Bruttos | Arbeitgeber | 90% Abdeckung |
| Private Vorsorge | Individuell | Eigenfinanzierung | Freiwillig |
Das Besondere: Die Betriebsrente ist quasi Standard. Neun von zehn Schweden haben eine, Arbeitgeber zahlen mindestens 4,5 Prozent des Gehalts ein, bei höheren Einkommen sogar 30 Prozent. Diese zweite Säule macht den entscheidenden Unterschied – nicht die Aktienrente allein.
Der Staatsfonds AP7: Erfolgsgeschichte mit Schattenseiten
Wer bei der Prämienrente keine eigene Fondswahl trifft, landet automatisch im staatlichen AP7 Såfa. Das betrifft 49 Prozent aller Schweden – etwa 5 Millionen Menschen. Der Fonds verwaltet 127 Milliarden Euro und ist damit ein Schwergewicht.
Beeindruckende Performance: ~10 Prozent Rendite p.a.
Die Zahlen sprechen für sich: 2024 erzielte der AP7 eine Rendite von 27,3 Prozent. Über zehn Jahre liegt der Durchschnitt bei 10 Prozent jährlich, seit 2010 sogar bei 14 Prozent. Das schlägt jeden deutschen Riester-Vertrag um Längen.
Der Trick: Der Fonds nutzt einen Hebel von 1,25. Das bedeutet, für jeden Euro Eigenkapital werden 25 Cent geliehen und zusätzlich investiert. Das verstärkt Gewinne – aber auch Verluste. Früher lag der Hebel sogar bei 1,5, wurde aber nach der Finanzkrise reduziert.
Extrem niedrige Kosten mit einer TER von 0,1 Prozent
Mit nur 0,1 Prozent Verwaltungsgebühren pro Jahr ist der AP7 unschlagbar günstig. Deutsche Riester-Produkte kosten oft 1,5 bis 4 Prozent jährlich. Bei einer Anlage von 100.000 Euro macht das über 30 Jahre einen Unterschied von über 50.000 Euro aus – nur durch die Gebühren.
Die Anlagestrategie ist simpel aber effektiv:
- Bis 55 Jahre: 100 Prozent Aktien weltweit
- Ab 56 Jahre: Jährliche Umschichtung in Anleihen
- Mit 75 Jahren: Zwei Drittel Anleihen, ein Drittel Aktien
Der Fonds investiert in über 3.000 Unternehmen weltweit, darunter die üblichen Verdächtigen: Apple, Microsoft, Nvidia, Amazon und Alphabet führen die Liste an.
Die dunkle Seite des Rentensystems: Skandale und Betrugsfälle
Das schwedische System ist nicht so sauber, wie es scheint. Der Allra-Skandal erschütterte das Vertrauen: Fondsmanager betrogen Anleger um Millionen Euro und landeten im Gefängnis. Die Geschädigten sehen ihr Geld nie wieder.
Unseriöse Fonds im System
Noch schlimmer: Fast 20 Jahre lang verwalteten „nicht seriöse“ Fonds Rentengeld. Die Regierung musste die Anzahl der zugelassenen Fonds halbieren – von über 800 auf 454. Das zeigt: Auch staatliche Kontrolle versagt.
Die Kritik geht tiefer. Versicherte werden zu „unfreiwilligen Börsenhändlern“ gemacht. Wer keine Ahnung von Aktien hat, muss trotzdem aus hunderten Fonds wählen oder landet im Staatsfonds. Die Rentenplanung wird zur Wissenschaft, die viele überfordert.
Automatische Rentenkürzungen
Schwedens System enthält einen Mechanismus, von dem deutsche Politiker nicht sprechen: automatische Rentenkürzungen. Wenn die Wirtschaft schwächelt oder die Lebenserwartung steigt, werden die Renten aller Versicherten gekürzt – automatisch, ohne politische Diskussion.
Das passierte 2010, 2011 und 2014. Rentner verloren nominal Geld, obwohl sie ihr Leben lang eingezahlt hatten. Die Regierung versuchte das mit Steuererleichterungen zu kompensieren, aber der Vertrauensverlust war enorm.
Reale Rentenhöhe ist ernüchternd
Trotz Aktienrente und hoher Renditen: Die durchschnittliche staatliche Rente in Schweden beträgt nur 1.324 Euro monatlich. Frauen bekommen im Schnitt 1.182 Euro, Männer 1.482 Euro. Das staatliche Rentenniveau liegt bei 46 Prozent – niedriger als in Deutschland mit 48 Prozent.
| Rentenart | Sweden | Germany |
|---|---|---|
| Staatliche Rente | 46% des letzten Einkommens | 48% des letzten Einkommens |
| Mit Betriebsrente | 75% des letzten Einkommens | 48% (nur wenige haben BR) |
| Durchschnittsrente | 1.324 € | 1.620 € |
Das hohe Gesamtrentenniveau von 75 Prozent erreicht Schweden nur durch die quasi-verpflichtende Betriebsrente. Ohne diese zweite Säule wären schwedische Rentner ärmer als deutsche.
Besonders hart trifft es Alleinstehende über 80: Sie erreichen nur noch 56 bis 59 Prozent des Lebensstandards von Erwerbstätigen. Paare zwischen 66 und 70 stehen mit 107 bis 116 Prozent dagegen gut da.
Was sind die Pufferfonds in Schweden?
Neben der individuellen Aktienrente existieren fünf staatliche Pufferfonds (AP1 bis AP4 und AP6) mit zusammen 188 Milliarden Euro Vermögen. Sie sichern das Umlageverfahren ab und erwirtschafteten 2024 durchschnittlich 9,6 Prozent Rendite.
2026 kommt die große Reform: Die Fonds werden fusioniert, um Kosten zu sparen. AP1 geht in AP3 und AP4 auf, AP6 in AP2. Ob das die erhofften Einsparungen bringt, bleibt abzuwarten.
Was plant Deutschland plant – und was nicht?
Deutschland will keine schwedische Aktienrente. Das geplante Generationenkapital ist etwas völlig anderes:
- Keine individuellen Konten: Ein kollektiver Topf für alle
- Keine Beitragsumleitung: Finanzierung über Staatsschulden
- Keine höheren Renten: Erträge sollen nur Beiträge stabilisieren
Nach dem Regierungswechsel 2025 ist selbst dieses abgespeckte Modell unsicher. Stattdessen kommt vielleicht die „Frühstart-Rente“ mit 10 Euro monatlich für Kinder – ein Tropfen auf den heißen Stein.
Was funktioniert in Schweden und wo stößt das System an seine Grenzen?
Schwedens Modell funktioniert durch das Zusammenspiel mehrerer Faktoren:
Was funktioniert:
- Verpflichtende Teilnahme für alle
- Extrem niedrige Kosten (0,1 Prozent)
- Einfache Standardlösung (AP7)
- Lange Anlagehorizonte (40+ Jahre)
- Breite Streuung (3.000+ Unternehmen)
Was problematisch ist:
- Abhängigkeit von Börsenkursen
- Automatische Rentenkürzungen
- Überforderung vieler Versicherten
- Betrugsfälle und unseriöse Fonds
- Niedrige Durchschnittsrenten
Der AP7 setzt verstärkt auf ESG-Kriterien. 50 Prozent des Rentenfondsportfolios stecken in grünen Anleihen, die Treibhausgasemissionen im Portfolio sanken 2024 um 21 Prozent. Das klingt gut, ändert aber nichts an den Grundproblemen des Systems.
Fazit: „Die schwedische Aktienrente ist ein Erfolg – aber nur als Teil eines Gesamtpakets, das Deutschland so nie kopieren wird“
Schwedens Aktienrente glänzt mit hohen Renditen und niedrigen Kosten. Aber sie ist nur ein Baustein in einem komplexen System mit starken Betriebsrenten und automatischen Anpassungsmechanismen. Die staatliche Durchschnittsrente von 1.324 Euro zeigt: Ohne die zweite Säule wären schwedische Rentner arm.
Deutschland diskutiert über Aktienrente, hat aber weder flächendeckende Betriebsrenten noch den politischen Willen für automatische Kürzungen. Das schwedische Modell einfach zu kopieren, würde nicht funktionieren. Was bleibt, ist die Erkenntnis: Kapitaldeckung kann die Rente ergänzen, aber nicht retten.
Und selbst das Vorzeigeland Schweden kämpft mit Skandalen, Überforderung und der harten Realität der Börsenschwankungen.
Contents
The contribution Share-based pension in Sweden: How exemplary is the model really? appeared first ftd.de.